Verführung im Land der Winzer – Wein aus Rheinhessen

By : | 0 Kommentare | On : 05/06/2012 | Kategorie : Artikel & Specials, Blog

Weinberg in Rheinhessen

Es ist heiß. Kochend heiß sogar. Nur ein paar Meter weiter sitzt ein graubärtiger Herr mit purpurrotgebrannter Haut, geniesst sichtbar seinen golden in der Mittagssonne glitzernden Riesling und schlägt sich, mit seinen Nachbarn flachsend, lachend auf die Schenkel. Wir hingegen suchen unter unserem Schirm jeden sich bietenden Quadratmillimeter Schatten, halten uns unsere Weingläser kühlend an die Wangen und fragen uns leicht benebelt, wie wir eigentlich hierhergekommen sind – mitten in die Weinberge Rheinhessens, auf ein Winzerfest, das sich von einem kleinen Ausschank zum nächsten entlang eines schmalen Pfades durch die Reben windet. Nur einen Monat vorher hatten wir auf einem viel kleineren Event in Berlin Köpenick an dem Stand des Weinguts Berg einen Zettel entdeckt, der zu der Bechtolsheimer Weinwanderung einlud, einem von regionalen Anbauern organisierten kulinarischen Spektakel. Von der lauen Berliner Sommersonne, der guten Stimmung, der einladenden Beschreibung und dem köstlichen Blanc de Noir der Bergs animiert, entschliessen wir uns, die Reise dorthin anzutreten. Jetzt hingegegen, nachdem wir bereits einiges an Wegstrecke zurückgelegt und am frühen Mittag unser erstes Glas getrunken haben, sind wir nicht mehr ganz so sicher: Wo wird uns dieser Plan noch hinführen?

Hauptstadt des Weins

An den beiden Tagen zuvor hat er uns nach Bingen geführt, wo wir uns bei einer ähnlich gearteten Veranstaltung namens „Nacht der Verführung“ auf die Bechtolsheimer Weinwanderung vorbereiten können. Davor bleibt uns noch ein wenig Zeit, uns in der selbsternannten „deutschen Hauptstadt des Weines“ umzusehen: Wir besuchen die nicht allzu tiefgehende, jedoch sehenswerte und von einem fachkundigen Mitarbeiter betreute Hildegard-von-Bingen-Ausstellung im modernen Museum am Strom, wandern den prachtvollen Rheinkai entlang, blicken auf das auf der gegenüberliegenden Seite liegende Rüdesheim und nehmen unser Abendessen am Fuss des im dreizehnten Jahrhundert erbauten Schloss Klopp ein, das heute Sitz de Stadtverwaltung ist. Danach fahren wir mit einem Sonderbus zum Veranstaltungsgelände hinauf. Sprich: Auf den Rochusberg. Es ist schon spät, als wir am ersten Abend unser Ziel erreichen und dementsprechend dunkel. Als wir aus dem Bus aussteigen, sind wir für einen kurzen Augenblick in völlige Finsternis getaucht. Dann erkennen wir direkt vor uns einen von auf dem Boden stehenden Öllampen erleuchteten Weg. Wir folgen ihn zu einer kleinen Anhöhe, wo sich, wie in einem sanften Traum, ein Kreis aus hell beleuchteten Ständen findet. An jedem gibt es eine Vielzahl vielversprechender Weine zu probieren. Man wähnt sich im Paradies.

Rheinhessens Wein-Kultur

Für die Bewohner Rheinhessens ist es das auch. Hier bedeutet Wein weitaus mehr als nur ein edles Rauschmittel oder eine angenehme Geschmacksvertiefung zum Essen. Hier ist er Kultur, Existenzgrundlage, Genussmittel und ein guter Grund, sich mit Freunden zu treffen, zugleich. Bis heute bedeutet es der Stadt Bingen und seinen Einwohner sehr viel, dass man durch die Erfindung des Eisweins in die Geschichte eingegangen ist, als man in einem bitterkalten Winter entdeckte, dass sogar frostgeplagte Trauben noch Feuchtigkeit enthielten. Dass der Rebensaft den Bewohnern nicht nur ins Blut, sondern tief in die Persönlichkeit gegangen ist, spürt man: Den wenigsten Besuchern der Nacht der Verführung muss man erklären, dass der Begriff „Barrique“ auf eine Lagerung in riesigen Eichenfässern und somit auf einen sofort erkennbaren Geschmack verweist. Dass ein Chardonay auch vor Ort angebaut und nicht aus Frankreich kommen muss. Dass sich die Bezeichnungen „halbtrocken“ und „feinherb“ im Grunde genommen auf das selbe beziehen, doch nur der erste Begriff gesetzlich geschützt ist. Oder dass der Blanc de Noir, der uns in Köpenick so begeistert hat, ein aus roten Trauben gekelteter Weisswein ist, der aber noch am ehesten nach einem Rosé schmeckt.

Der Umgang mit diesem Kulturprodukt fällt dementsprechend respektvoll aus: Die Stimmung auf der Nacht der Verführung ist selbst spät am Abend entspannt und beim Blick auf die anwesenden Liebhaber fällt einem sofort auf, dass sie das Weinglass mit zwei Fingern an dem runden Boden des Glases festhalten statt an dem Kelch. Letzteres ist äußerst funktional, da es eine unnötige Erwärmung des Weins verhindert und hat nebenbei den Vorteil, das dem Trinken rein optisch eine gewisse Lässigkeit und Stil verleiht.

Wein als Standortfaktor

Für dieses angesammelte Fachwissen gibt es gute Gründe: Die Weinwirtschaft ist in Rheinland-Pfalz neben dem Tourismus ein bestimmender Standortfaktor. Unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen hat sich Rheinhessen auf nationaler Ebene gut und international sogar sehr gut behauptet: 2010 betrug der Anteil am deutschen Markt fünfundzwanzig Prozent, während einundvierzig Millionen Liter rheinhessische Weine auf ausländischen Märkten verkauft wurden. Die Gegend steht für außerordentliche Qualität und Beständigkeit. So feierte dieses Jahr die Werbekampagne der Anbauer Jubiläum: Seit zwanzig Jahren bereits lautet der Slogan „Rheinhessen. Die Weine der Winzer“ – eine unvorstellbare Konsistenz in er ansonsten von rasanten Image- und Produktwandeln geprägten Zeit. Dabei stehen die rheinhessischen Winzer Fortschritt an sich durchaus positiv gegenüber. In einer großen Umfrage sammelte man Ideen, was nach dem Dornfelder-Boom, der Rebsorte, die so lange das öffentliche Bild der Region bestimmt und positiv geprägt hatte, wohl kommen möge, um sich für eventuelle Veränderungen entsprechend wappnen zu können. Diese Art professioneller Aktivität hinter den Kulissen ist dringend erforderlich, denn der Weinmarkt in Deutschland stagniert bereits seit einigen Jahren und weltweit sehen sich die deutschen Weine, trotz weiterhin wachsenden Renomees, heftiger Konkurrenz ausgesetzt. Um sich diesen Herausforderungen zu stellen, sind Mainz und Rheinhessen 2008 dem Great Wine Capitals Global Network (GWC) beigetreten – einem Verbund der führenden Weinbaustädte. Ziel dabei ist es, die eigenen Vorzüge und Eigenheiten zu fördern und sich durch Individualisierung und Erkennbarkeit auszuzeichnen. Aber natürlich geht es hier auch um harte wirtschaftliche Interessen, welche die Internetseite offen anspricht. So strebt man an, „Mainz, Rheinhessen und seine Weine im globalen Wettbewerb noch besser zu platzieren.“

Lebende Kultur

Die Nacht der Verführung ist dabei nur eines von vielen Weinfesten, welche die Weinkultur in der Gegend leben lassen und bei weitem nicht eines der größten – das ebenfalls in Bingen stattfindende Fest des Weines beispielsweise dauert ganze elf Tage. Sicherlich aber ist es einer der lohnenswertesten und zieht inzwischen sogar, wie wir später auf der Rückfahrt im Bus feststellen, als es zur spontanen Verbrüderung mit den Anwohnern kommt, Besucher aus den Niederlanden an. Einmal auf dem Festgelände angekommen entschliessen wir uns, uns uns durch das Angebot der neun teilnehmenden Winzer hindurchzuprobieren. Bei dem Weingut Oswald Hochthurn geniessen wir einen ganz wunderbaren Rosé , der in der noch angenehm warmen Nachtluft herrlich erfrischend schmeckt.

Auch das Angebot des Weinguts Adi Huber weiss zu überzeugen. Und überhaupt: Einen wirklich enttäuschenden Wein wird man hier vergeblich suchen, auch wenn so manche Fruchtnote gelegentlich schon recht arg prominent ist. Ganz gelingt es uns dann doch nicht, uns ein komplettes Bild zu verschaffen und alle angebotenen Weine zu kosten. Dafür allerdings schaffen wir den Weg ins Hotel ohne Probleme oder Umwege, die einem am nächsten Morgen schon mal Kopfschmerzen bereiten – wie beispielsweise einige unserer Busmitfahrer, die unten am Rochusberg angekommen, ihre nächtlichen Aktivitäten in einem Club am Rheinkai fortsetzen.

Gespräche mit den Winzern

Am nächsten Morgen geht es dann weiter zur Bechtolsheimer Weinwanderung. In Mainz schliessen wir unser Gepäck in einem Schliessfach ein und fahren anschliessend über eine Stunde lang von einem winzigen Dorf zum nächsten, bis wir schließlich Bechtolsheim erreicht haben. Obwohl die Strassen wie leergefegt sind, wird einem sofort klar, dass hier alles auf Wein ausgerichtet ist: Allein schon entlang der Strasse in Richtung der Weinberge passieren wie die Häuser einer Winzerfamilie nach der anderen. Endlich erreichen wir den Startpunkt der Wanderung, wo wir unser Glas erwerben, es uns mit einem praktischen Faden um den Hals hängen und unsere Reise antreten. An insgesamt neun Punkten kann man hier halt machen, einkehren und neben den Weinen auch Speisen wie Flammkuchen, Schmalzbrote, Rheinhessische Festtagssuppe mit Markklöschen oder Wingertsknorze – ein aus Roggenmehl und Kümmel gebackenes Brötchen, dessen Form einer Weinrebe nachgeahmt ist – zu sich nehmen. Während man die Ruhepausen zwischen den Etappen geniesst, kann man den anderen Teilnehmern beim wandern zusehen, sich ausrechnen, wie hoch man noch auf den Petersberg hinaus muss, um alle Stationen zu besuchen und das Gespräch mit den Winzern suchen. Dabei erfährt man dann beispielsweise, dass sich aus der zweiten Pressung eines Blanc de Noir ein immer noch köstlicher und vor allem angenehm eigenwilliger Wein herstellen lässt. Dass die Abkürzungen QmP (Qualitätswein mit Prädikat) und QbA (Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete) die beiden höchsten Qualitätsweinkategorien bilden und damit höheren Ansprüchen genügen als beispielsweise ein einfacher Land- oder Tafelwein. Bei der Winzerfamilie Weber wiederum probieren wir einen halbtrockenen Rheinfelder, der noch nicht zugelassen ist und deswegen die Bezeichnung „aus Versuchsanbau“ trägt.

So wird die Weinwanderung von einem anfänglich leicht benebelnden Schoppentrinken zu einer anregenden Angelegenheit. Nach der Hälfte des Weges gesellen sich Freunde von uns dazu und wir beenden unseren Besuch mit dem selben Blanc de Noir des Weinguts Berg, der unseren Ausflug nach Rheinhessen angestossen hatte. Die kochende Hitze ist inzwischen einer angenehmen Wärme gewichen, in der der kühle Wein wahre Wunder wirkt. Mit zwei Flaschen im Arm treten wir schließlich den Heimweg an – der Abend ist noch lange nicht zu Ende.

Alle Fotos: Sonja Schubert und Tobias Fischer

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